Europa in Mauthausen
Europa in Mauthausen
Die Buchpräsentation findet am 10. November 2022 um 18:30 Uhr in der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte statt.
Programm
Begrüßung
Markus Stumpf | Leiter der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte, Universität Wien
Einleitende Worte und Moderation
Bertrand Perz | Professor am Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
Buchpräsentation und Podiumsdiskussion
Gerhard Botz | Professor emeritus am Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
Alexander Prenninger | Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann Institute for Digital History, Wien
Helga Amesberger | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Konfliktforschung, Wien
Im Anschluss laden wir zu Brot und Wein
Zu den Büchern:
Zwei historische Grundlagenwerke zur vielfältigen "Häftlingsgesellschaft"
Zwei umfangreiche Bände, gefördert vom FWF, öffnen einen neuen Blick nicht nur auf die Formen von Terror und Vernichtung im Inneren der nationalsozialistischen KZs, sondern auch auf das gigantische Okkupations- und Verfolgungssystem des NS-Regimes und seiner Verbündeten und Kollaborateure, das schließlich beinahe ganz Kontinentaleuropa erfasste. Diese überregionale Dimension wurde in der KZ-Forschung, die oft eher lokal und biografisch orientiert ist, nicht selten ausgeblendet. Erst aus einer neuen Perspektive wird nachvollziehbar, wie in den KZs Überleben und Tod der Häftlinge tragisch verflochten waren.
Der erste Band „Mauthausen und die nationalsozialistische Expansions- und Verfolgungspolitik“ gibt dazu einführend einen Überblick über die internationale und österreichische KZund die Mauthausen-Forschung. Hier werden auch die vielschichtigen Quellengrundlagen (digital aufgezeichnete lebensgeschichtliche Interviewsammlungen, internationale Opferarchive und Dokumentationszentren, Akten der NS-Verfolgungsbürokratie und der SS etc.) dargelegt.
Methodisch sind die dargelegten Forschungen multidisziplinär angelegt, wobei quantitative und qualitative Analysen einander ergänzen und kontrollieren. Sie haben ihren Schwerpunkt auf über 850 Audio- und Video-Interviews, die mit den letzten noch lebenden ehemaligen Mauthausen-Häftlingen in Europa, Amerika und Israel aufgezeichnet worden sind. Diese meist mehrstündigen Interviews wurden in 16 verschiedenen Sprachen geführt, sind im Mauthausen-Archiv Wien gespeichert und zu einem großen Teil ins Deutsche übersetzt. Dieser wertvolle Quellenkorpus ist ein bleibendes Ergebnis eines der größten Oral-History-Projekte, das jemals über ein einzelnes KZ durchgeführt wurde. Mehr als 60 international arbeitende Oral-History-Expert*innen und Sozialwissenschafter*innen arbeiteten und arbeiten in diesem langjährigen Forschungsunternehmen mit, darunter auch Irina Scherbakowa, Mitgründerin und Chefhistorikerin der Menschenrechtsorganisation "MEMORIAL Moskau", die mit dem Friedensnobelpreis 2022 ausgezeichnet wurde.
Auch der besonders umfangreiche zweite Band „Deportiert nach Mauthausen“ ist bereits erschienen. Er geht der Frage nach, auf welche Weise Häftlinge aus zahlreichen europäischen Ländern aus verschiedenen Gründen in den KZ-Komplex Mauthausen deportiert wurden. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Verfolgtengruppen ("politische" Häftlinge und andere von der NS-Justiz erfasste Opfer, sog. "Asoziale", Roma und Sinti, sog. "Ostarbeiter*innen" und viele andere oft willkürlich kategorisierte Häftlinge); sie wurden in die Zwangslager des NS-Regimes transferiert und oftmals innerhalb des gesamten Lagersystems hin- und hergeschoben. Dies und die Todesmärsche 1944/45 führten zu einem ständigen Wandel auch in der Binnenwelt Mauthausens.
Trotz der Allpräsenz des Terrors und eines für viele gewaltsamen Todes weichen die Schicksale der KZ-Insass*innen je nach Zeitphase und Häftlingsgruppe beträchtlich voneinander ab. Die Pluralität der Erfahrungen der Überlebenden und die vielfältigen Analyseansätze der Autor*innen dieses Bandes ermöglichen ein vertieftes Verständnis der sog. „Häftlingsgesellschaft". Auf weibliche KZ-Häftlinge wird dabei separat eingegangen, ebenso auf das wechselhafte Schicksal von Juden und Jüdinnen, denen zwar nach dem Novemberpogrom 1938 Mauthausen noch "erspart" blieb, für die dieses KZ jedoch ab 1941 immer wieder zu einer vorrangigen Vernichtungsstätte wurde.
Die Bände 3 und 4, die sich schwerpunktmäßig mit der Häftlingsgesellschaft selbst und der Erinnerung an Verfolgung und KZHaft beschäftigen, sollen 2023/24 erscheinen.
In Kooperation mit
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
Ludwig Boltzmann Institute for Digital History, Wien
Institut für Konfliktforschung, Wien